Erich im Urwald
Es war zwei Uhr morgens, Erich konnte nicht schlafen. Er versuchte es schon seit Stunden. Sonst hatte er keine Probleme damit, mit einer Mücke im Raum zu schlafen. Nur waren es, dem hohen vielstimmigen Summen nach beurteilt, mindestens fünf. Und keine deutsche Mücken. Brasilianische Mücken, Amazonas Mücken. Die Mücken in Frankfurt kreisten im Raum herum, bis sie – angezogen vom Körpergeruch – ihr Opfer endlich fanden. Bis dahin war man sich oft schon im Tiefschlaf. Die Mücken hier am Rande von Manaus waren anders. Es gab kein Kreisen, nur ein gradliniges Lauterwerden, bis der Ton abrupt verstummte, weil der Stachel sich in die Haut des Opfers gebohrt hatte. Erich hatte es letzte Nacht mit geschlossenem Fenster versucht, aber dann war es in diesem Zimmer so warm, dass er schwitzte wie blöd und sich nicht zudecken konnte, was dazu führte, dass er sich ungeborgen fühlte, so wie jetzt, mit fünf aggressiven Mücken im kleinen Zimmer.
Erich stand genervt auf und lief durch den Gang seiner neuen Zweizimmerwohnung, an der Küche vorbei, zur Haustüre. Während er den Schlüssel suchte, hörte er wieder diese rasant lauter werdenden hohen Töne. Er fuchtelte wild um sich und versuchte die schnellen, kleinen Tierchen von sich fernzuhalten. Einige male klatschte er in die Luft. Daneben. Und die frechen Viecher schienen es als Kompliment zu verstehen, denn das Summen hielt an. Endlich fand er den Schlüssel in seiner Pyjamahose. “Jetzt reicht’s”, dachte er sich, schloss auf, drückte gewaltvoll auf die Klinke, lief durchs Treppenhaus und klopfte an der Türe seines Vermieters. Dieser öffnete erst nach einigen Minuten und mehrmaligem Klopfen.
Ein kleiner Mann, mit schwarz-grauen Locken stand vor ihm. Bekleidet war er nur mit dunkelblauen Boxershorts. Der sehr höfliche, immer frisch rasierte, ältere Herr, hatte eine für ihn etwas wilde, sehr beachtliche Brustbehaarung.
“Hello, what is it?” Fragte er etwas genervt.
Erich verlor beim überraschenden Anblick kurz seine Fassung. Er hatte nun doch etwas Mitleid mit seinem müden Gegenüber. Er begann schon seine impulsive Nacht-Aktion zu bereuen, erinnerte sich dann aber wieder an die Mücken und daran, wie müde er morgen in der Arbeit sein würde.
“Are there no mosquito-nets for the windows?”
“No, sorry”. Der Herr hob die Hand mit einem gespielt mitleidigem Lächeln und wollte gerade die Türe vor Erichs Nase schliessen, doch dessen letzte Bemerkung kam noch durch den schmaler werdenden Spalt.
“It is impossible to sleep like that…”
Offenbar hatte Erich sehr mitleidserregend gewirkt, denn der Vermieter zögerte und sagte: “I buy tomorrow” bevor er die Türe endgültig schloss.
In wenigen Stunden würde der dritte Tag von Erichs Medizin-Praktikum im Spital von Manaus beginnen. “Warum tue ich mir das an?” Sprach er laut vor sich hin, während er zurück in seine Wohnung schlenderte. Er beschloss spazieren zu gehen und sich im Verlauf des Tages um einen Ventilator zu kümmern.
“Vielleicht bin ich nächste Nacht so müde, dass mich nichts mehr stört” dachte er sich. “Hoffentlich”.